Nahversorgung

Eine Lebensmittelversorgung, die für alle Bevölkerungsgruppen gut erreichbar ist, ist eine wichtige Voraussetzung für eine flächendeckend hohe Lebensqualität. Wie steht es um die Nahversorgung in Baden-Württemberg, welche Trends zeichnen sich ab und wie ist es um die Erreichbarkeit des Lebensmittel-Einzelhandels bestellt?

Supermarkt

Zahlen und Trends im Lebensmittel-Einzelhandel

In Baden-Württemberg gibt es aktuell nach den Daten von Tradedimensions by NIQ rund 3.400 Lebensmittelgeschäfte mit einer Verkaufsfläche ab 400 Quadratmetern. Zwischen 2013 und 2023 stieg ihre Zahl um rund 5 % an. Unter den größeren Lebensmittelgeschäften entwickelte sich lediglich die Zahl der SB-Warenhäuser mit 5.000 und mehr Quadratmetern Verkaufsfläche in diesem Zeitraum rückläufig (-5 %).

 

Tabelle zur Entwicklung der Verkaufsstätten

Zu kleineren und kleinen Lebensmittelgeschäften unter 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sowie zu Lebensmittelbetrieben mit spezifischer Ausrichtung wie Bäckereien liegen keine validen, landesweiten Daten vor. Auf der einen Seite ergeben sich Hinweise darauf, dass die Zahl der kleinen und kleineren Lebensmittelgeschäfte im betrachteten Zeitraum stark zurückging, weil beispielsweise kleine Filialen geschlossen oder erweitert wurden.

Auf der anderen Seite entsteht mit sogenannten kontaktlosen Smart-Shops aktuell eine neue, innovative Betriebsform im Lebensmitteleinzelhandel. Damit nimmt dank der Digitalisierung die Zahl der kleinformatigen Lebensmittelgeschäfte zu. Bei kontaktlosen Smart-Shops handelt es sich um Lebensmittel-SB-Geschäfte mit langen Öffnungszeiten (i.d.R. auch am Wochenende), einem relativ umfangreichen Lebensmittelangebot und Verkaufsflächen von bis zu rund 125 Quadratmetern, die sich i.d.R. an integrierten Standorten mit einem unmittelbaren Bezug zur Wohnbebauung in Stadt-/Ortsteilen mit bis zu 1.000 Einwohnern befinden (vgl. Gutachten zur Einzelhandelssteuerung 2024). Aktuell gibt es nach Erhebungen der DHBW rund 180 solcher Smart-Shops in Baden-Württemberg.

Gute Erreichbarkeit als Auftrag

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG ist „[…] die Erreichbarkeit von Einrichtungen und Angeboten der Grundversorgung für alle Bevölkerungsgruppen […] zur Sicherung von Chancengerechtigkeit in den Teilräumen in angemessener Weise zu gewährleisten.“ Ähnliche Ausführungen finden sich im Leitbild des geltenden Landesentwicklungsplans. Doch was ist unter einer guten Erreichbarkeit zu verstehen? In der Fachwelt wird häufig die Auffassung vertreten, dass mindestens ein leistungsfähiger Lebensmittelmarkt existieren sollte, der – möglichst innerhalb von 10 Minuten – zu Fuß erreicht werden kann. Natürlich unterscheidet sich die fußläufige Geschwindigkeit unter anderem je nach Alter, Gesundheitszustand, Ampelschaltung oder Steigung des Weges. Als Orientierungswert können – je nach Quelle – zwischen vier und fünf Kilometer pro Stunde angenommen werden. Daraus ergibt sich für die fußläufige Erreichbarkeit eine maximale Distanz zwischen 667 und 833 Metern.  

Erreichbarkeit der größeren Lebensmittelgeschäfte

Laut Raumanalyse-Bericht „Einzelhandel: Grund- und Nahversorgung“ der ILS Research gGmbH ist das nächste größere Lebensmittelgeschäft mit einer Verkaufsfläche ab 400 Quadratmetern in 18 % der Gemeinden Baden-Württembergs durchschnittlich innerhalb von zehn Minuten zu Fuß zu erreichen. Dehnt man die Betrachtung der 10-minütigen Erreichbarkeit auf andere Verkehrsarten aus, so ergibt sich ein deutlich anderes Bild: in fast allen Gemeinden (98 %) erreicht man das nächste größere Lebensmittelgeschäft in zehn Minuten mit dem Auto, in 71 % mit dem Fahrrad. Im Mittel über alle Gemeinden des Landes (Median) beträgt die berechnete Wegezeit mit dem Auto 2,7 Minuten, mit dem Fahrrad 6,1 Minuten und zu Fuß 18,5 Minuten. 

Warum der Fußweg im Schnitt recht weit ist, zeigt sich im Gutachten zur Einzelhandelssteuerung von Dr. Donato Acocella Stadt- und Regionalentwicklung GmbH, Junker+Kruse Stadtforschung Planung und Baumeister Rechtsanwälte. Die Experten kommen darin exemplarisch für die Regionen Neckar-Alb und Heilbronn-Franken zum Ergebnis, dass sich annähernd 40 % aller Lebensmittelbetriebe an nicht integrierten Standorten ohne unmittelbaren Bezug zur (zusammenhängenden) Wohnbebauung befinden. Insbesondere SB-Warenhäuser, große Supermärkte und Lebensmitteldiscounter, d.h. größere Lebensmittelgeschäfte mit quantitativ hoher Nahversorgungsfunktion, sind häufig an solchen Standorten angesiedelt. Kleine Lebensmittelgeschäfte sind hingegen meist an integrierten Standorten ansässig. Daher lohnt sich ein Blick auf ihre Erreichbarkeit.

Erreichbarkeit der Lebensmittelgeschäfte unabhängig von ihrer Größe

Daten zu
 

  • kleineren Lebensmittelgeschäften (Lebensmittelmärkte, Hofläden, Bioläden und Reformhäuser jeweils mit einer Verkaufsfläche von 201 bis 400 Quadratmetern; Stufe 3 der Nahversorgungsqualität)
     
  • kleinen Lebensmittelgeschäften (Lebensmittelmärkte, Hofläden, Bioläden und Reformhäuser jeweils mit einer Verkaufsfläche bis 200 Quadratmeter; Stufe 2 der Nahversorgungsqualität) sowie
     
  • Lebensmittelbetrieben mit spezifischer Ausrichtung (z.B. Bäcker, Getränkemärkte, Kioske, Tankstellenshops, Läden mit Verkaufsautomaten, Marktstände und Metzger; Stufe 1 der Nahversorgungsqualität)
     

wurden im Rahmen des oben genannten Gutachtens exemplarisch für die Regionen Heilbronn-Franken und Neckar-Alb erhoben und im Raumanalyse-Bericht „Einzelhandel: Grund- und Nahversorgung“ weitergehend ausgewertet. Danach beträgt die durchschnittliche Gehzeit zum nächsten Lebensmittelgeschäft unter Berücksichtigung aller Kategorien im Median der Beispielregionen 8,3 Minuten.

Durchschnittliche Gehzeit (bevölkerungsgewichtet) zum nächsten Lebensmittelgeschäft

Nahversorgung nach Raumkategorien

Spannend ist ein genauerer Blick darauf, wie sich der jeweilige Durchschnittswert zusammensetzt. Laut Raumanalyse-Bericht „Einzelhandel: Grund- und Nahversorgung“ sind die größeren Lebensmittelgeschäfte ab 400 Quadratmetern in Baden-Württemberg

  • in den Verdichtungsräumen in 9,8 Minuten,
  • in den Randzonen um die Verdichtungsräume in 14,5 Minuten,
  • in den Verdichtungsbereichen im Ländlichen Raum in 15,0 Minuten und
  • im Ländlichen Raum im engeren Sinne in kaum zumutbaren in 28,9 Minuten

zu Fuß erreichbar. Unter Berücksichtigung aller Lebensmittelgeschäfte unabhängig von ihrer Verkaufsfläche oder Ausrichtung liegen die Gehzeiten in den Beispielregionen Heilbronn-Franken und Neckar-Alb bei

  • 5,5 Minuten in den Verdichtungsräumen,
  • 6,5 Minuten in den Randzonen um die Verdichtungsräume,
  • 7,6 Minuten in den Verdichtungsbereichen im Ländlichen Raum sowie
  • 11,7 Minuten im Ländlichen Raum im engeren Sinne.

Nimmt man eine fußläufige Nahversorgung für diejenigen Menschen an, die in einer Entfernung von maximal 700 Metern Fußweg-Distanz zu mindestens einem Lebensmittelbetrieb wohnen, ergibt sich nach dem Gutachten zur Einzelhandelssteuerung folgendes Bild:

Der Anteil der Menschen, die kein kleines, kleineres oder größeres Lebensmittelgeschäft fußläufig erreichen, liegt bei rund 51 %. Differenziert nach Einwohnerklassen der Kommunen liegt ein räumlicher Nahversorgungsanteil von durchschnittlich mehr als 50 % der Einwohnerinnen und Einwohner nur in Städten und Gemeinden mit mehr als 25.000 Menschen vor.

Differenziert nach Raumkategorien zeigt sich ein deutlich überdurchschnittlich hoher räumlicher Nahversorgungsanteil mit rund 68 % in den Verdichtungsräumen, während im Ländlichen Raum im engeren Sinne ein erheblich unterdurchschnittlicher Anteil von nur rund 38 % zu verzeichnen ist. Die geringere Nahversorgung im Ländlichen Raum im engeren Sinne ist insbesondere auf disperse, kleinteilige Siedlungsstrukturen zurückzuführen.

Inwieweit hier Lebensmittelbetriebe wie Bäcker, Getränkemärkte oder Verkaufsautomaten die Versorgungslage verbessern, ist nicht bekannt.